Das Recht muss nie der Politik, wohl aber die Politik dem Recht angepasst werden.
– Immanuel Kant
Das Recht des Stärkeren ist das stärkste Unrecht.
– Marie von Ebner-Eschenbach
Unsere Macht ist zerstörerisch. Wir können zwar die Schöpfung beenden und alle Menschen töten, aber wir können keinen einzigen Menschen erschaffen.
– Franz Alt
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22.07.2017 | www.kla.tv/10849
Während seines letzten regulären Sitzungstages vor der großen Sommerpause hat der Deutsche Bundestag am Freitag, dem 30. Juni 2017, eine der umstrittensten staatlichen Gesetzesinitiativen der vergangenen Monate auf den Weg gebracht. Im sogenannten Kampf gegen „Hasskommentare“ und „Fake News“ in sozialen Netzwerken wurde das von Bundesjustizminister Heiko Maas entworfene "Netzwerkdurchsetzungsgesetz“, kurz "NetzDG", verabschiedet. Laut Maas sei die Hasskriminalität in Deutschland in den letzten beiden Jahren um über 300% angestiegen. Da in einer offenen und demokratischen Gesellschaft so bedeutsame Grundwerte wie Freiheit und Gleichheit andernfalls auf dem Spiel stünden, müsse nun staatlicherseits dafür gesorgt werden, dass Recht und Gesetz endlich auch im Internet durchgesetzt würden, so Heiko Maas. Mit dem "NetzDG" wurden nun Internet-Plattformbetreiber mit zusammen über 2 Millionen Nutzern, wie Facebook, Google, Twitter & Co, gesetzlich dazu verpflichtet, gemeldete strafbare Inhalte innerhalb von 24 Stunden zu löschen. Inhalte, deren Rechtswidrigkeit nicht gleich offensichtlich sei, müssen innerhalb von sieben Tagen gelöscht werden. Andernfalls würden Bußgelder von bis zu 50 Millionen Euro drohen. Verfassungsrechtler, Medienexperten, private Unternehmen sowie Wirtschaftsverbände meldeten zum Entwurf des "NetzDG" jedoch gravierende verfassungsrechtliche Bedenken an: – David Kaye, UN-Sonderbeauftragter für Meinungsfreiheit, hatte bereits Anfang Juni die geplanten Regeln für Online-Plattformen zum schnelleren Löschen "strafbedrohter" Inhalte scharf kritisiert: „Ohne juristische Kontrolle ist die Abgabe der Verantwortung für die Löschung von Inhalten Dritter an private Firmen nicht mit den internationalen Menschenrechtsbestimmungen vereinbar.“ Facebook äußerte sich zum Entwurf des "NetzDG" in einer schriftlichen Stellungnahme wie folgt: „Die Prüfung der Verletzung von Strafnormen und der Rechtswidrigkeit von Inhalten ist originäre (eigentliche) Aufgabe von Staatsanwaltschaften und staatlichen Gerichten. Das "NetzDG" stellt eine Abwälzung dieser Aufgabe auf private Firmen dar. Dies ist ein unzulässiger Systembruch.“ – Hinzu kommt ein weiteres Problem, dass der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages kürzlich in einem Gutachten attestierte: Die Begriffe „Hate Speech“ und „Fake News“ seien mangels klarer gesetzlicher Definition problematisch und es sei außerdem schwierig festzulegen, wann eine Meinungsäußerung rechtswidrig und wann sie noch durch die Meinungsfreiheit abgedeckt sei. Facebook schrieb dazu, dass eine Abwägung der Grundrechte, wie sie das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof im Bereich der Meinungsfreiheit für notwendig erachten, nicht wirklich stattfinden könne: „Um "Hate Speech" und Falschmeldungen zu erkennen, ist der jeweilige nationale, soziale, persönliche und sachliche Kontext eines Posts entscheidend. (…) Angesichts der kurzen und starren Fristen, die das "NetzDG" vorsieht, werden Entscheidungen ohne Kenntnis des relevanten Kontextes erfolgen müssen.“ – Die kurzen Löschfristen und die unverhältnismäßig hohen Bußgeldandrohungen werden von Verfassungsrechtlern und anderen als Einschüchterungsversuch betrachtet. Private Unternehmen würden so gezwungen, ohne sorgfältige vorherige Prüfung und vor allem wegen des Zeitdrucks auch in Zweifelsfällen, legale Inhalte rasch entfernen zu müssen. Facebook bringt es wie folgt auf den Punkt: „Private soziale Netzwerke unter Androhung von Bußgeldern zu verpflichten, Posts zu löschen, kann ein effektives Mittel sein, um kritische politische, gesamtgesellschaftliche oder themensensible Meinungsäußerungen aus den sozialen Netzwerken zu verbannen. […] Abgesehen davon, dass der Gesetzesentwurf "Hate Speech" und Falschmeldungen in Zukunft nicht verhindert, teilen wir die Auffassung vieler Wirtschaftsverbände und Wissenschaftler, dass der Gesetzesentwurf verfassungswidrig ist.“ Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages äußerte sich dahingehend, dass das "NetzDG" verfassungswidrig und eine Grundrechtsbeeinträchtigung sowie ein staatlicher Eingriff in die Meinungsfreiheit sei. Facebook geht in seiner Schlussfolgerung sogar noch einen Schritt weiter, und zwar, dass das "NetzDG" nicht nur auf Deutschland negative Auswirkungen haben würde. Facebook wörtlich „Das "NetzDG" könnte so zur Blaupause für Staaten in aller Welt werden, dass diese unter dem Deckmantel der Bekämpfung von "Hate Speech" und Falschmeldungen soziale Netzwerke verpflichten, legitime Posts, die aber einer bestimmten Agenda widersprechen, zu löschen.“ Dem ist wahrlich nichts hinzuzufügen. Eine Regierung, die Meinungsäußerungen unter Zuhilfenahme von Staatsgewalt und unter dem Deckmantel der Bekämpfung von "Hate Speech" und "Fake News" zensiert, hat sich als demokratischer Rechtsstaat eigentlich selbst disqualifiziert.
von nm./dd.
http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2017/kw26-de-netzwerkdurchsetzungsgesetz/513398
https://www.youtube.com/watch?v=CbqD1ORGFtU
https://www.heise.de/tp/features/NetzDG-im-Rechtsausschuss-3747807.html
https://www.tichyseinblick.de/daili-es-sentials/der-wissenschaftliche-dienst-des-bundestages-netzwerkdurchsetzungsgesetz-verfassungswidrig/
https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2017/05/Facebook_Stellungnahme_zum_Entwurf_des_NetzDG.pdf
http://www.lto.de/recht/nachrichten/n/maas-gesetz-hasskommentare-loeschung-herausgabe-daten-soziale-netzwerke/