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08.08.2019 | www.kla.tv/14703
Meinung ungeschminkt heute mit dem Insiderbericht eines deutschen Krankenpflegers. Ein Krankenpfleger mit 43-jähriger Berufserfahrung hat bei Kla.TV eine Klage eingereicht. Es ist ein Hilfeschrei an die Regierenden zum Pflegenotstand in deutschen Krankenhäusern. Er schreibt: „Es wird höchste Zeit, dass Minister wieder als »Ministranten - sprich Diener des Volkes« handeln und nicht länger an der Bevölkerung vorbei regieren!“ Hören Sie ihn nun selbst. „Dem Burnout nahe erhielt ich - im zweiten Anlauf - doch noch die Genehmigung für meine Erst-Reha-Kur nach 43 Berufsjahren. In Vorbereitung darauf nahm ich eine Liste mit, in der ich, Gedächtnisprotokollen gleich, alles niederschrieb, was mich in meinem Berufsalltag belastete. Dies habe ich in folgendem Schreiben an die Reha-Leitung zusammengefasst.“ „Sehr geehrte Damen und Herren! … […] Aus nun über mehr als siebenjähriger Erfahrung, die ich bisher bei zwei verschiedenen Zeitarbeitsfirmen in 14 norddeutschen Krankenhäusern machen durfte, möchte ich Sie auf gesellschafts- und wirtschaftspolitische, sprich systembedingte Krankheitsursachen hinweisen. Erlauben Sie mir folgende Erläuterungen, die meinen Pflege-Alltag zur Qual machen und ihn mir ̶ trotz einer nun endlich genehmigten Reha ̶ hinterher hoffnungslos erscheinen lässt. … Die Patientenklientel wird immer älter. Vor kurzem lag auf der 34-Betten-Station, wo ich gerade arbeite, das Durchschnittsalter der Patienten bei 89 Jahren! Erschwerend kommt hinzu, dass die Patienten immer übergewichtiger und dementer werden. Dadurch bedingt werden die Mitarbeiter ebenfalls immer kränker oder verlassen die Einrichtung. Die Folge davon ist, dass der Personalschlüssel angepasst wird, sodass eine Pflegekraft bis zu 16 Patienten zu versorgen hat. Darunter leiden auf Dauer die Qualität der Versorgung und auch das Mitarbeiterklima! Damit aber nicht genug: Zeitarbeitskräfte und ausländische Kollegen versuchen zwar ihr Bestes zu geben, gelangen aber selbst auch immer mehr an ihre Belastungsgrenze. … Seit über 20 Jahren hört bei mir um 3.45 Uhr die Nacht auf. Ich fahre bis zu einer Stunde in die jeweilige Einrichtung und komme erschöpft nach Hause. Trotz Schicht- und Wochenenddiensten bleibt dann nach 45 Arbeitsjahren eine Rente von 1000 Euro. Fazit: Unsere Gesellschaft ist krank! Unsere Krankenhäuser und der nun geschilderte Klinikalltag spiegeln dieses Bild untrüglich wider: überfüllte Krankenhäuser; Notbetten auf Fluren, wo alkoholisierte Patienten herumschreien oder unkontrolliert urinieren; Angehörige, die die Fassung verlieren; infektiöse Patienten, die im dicht besetzten Wartezimmer fünf Stunden auf den Arzt warten; wieder andere, die plötzlich auf dem Flur einen Krampfanfall erleiden; verwahrloste Patienten mit Wurmbefall und in die Haut eingewachsene Textilreste, die mit der Feuerwehr antransportiert werden. …. Doch da ist niemand, der das wirklich hören will. Im Gegenteil! Von Interesse sind nur Zahlen! Betten-Manager bestimmen, dass chirurgische Patienten auf die Innere und Patienten von der Inneren dorthin verlegt werden, wo noch irgendein leeres Bett unter dem Krankenhausdach gefunden wird. Im Notfall muss der Arzt vom Dienst einem anderen Patienten mitten in der Nacht noch den Entlassungsbrief schreiben. Diese geschilderten Ereignisse wecken in mir nach all den langen und immer anstrengender werdenden Jahren den sehnlichsten Wunsch, in ein derartig „erkranktes Gesundheitswesen“ nie wieder „eingegliedert“ werden zu müssen. Trotzdem bin ich dankbar, zunächst für vier Wochen diesen Arbeitsalptraum einmal hinter mir lassen zu dürfen und bedanke mich bei Ihnen für alle Mühen, die mit meinem Aufenthalt für Sie verbunden sind. Hochachtungsvoll! XXX“ … „In der Reha interessierte sich niemand für dieses Schreiben. Es waren nur tabellarisch angeordnete Fragen zu beantworten. Irgendwie hatte ich das Gefühl, allein gelassen zu sein. Ich hatte kein wirkliches Gegenüber. … Nach der Reha begann dann der Klinikalltag von vorn. Nur drehte sich das Karussell noch etwas schneller: Im März 2019 musste ich sechs verschiedene Kliniken bedienen und wechselte dabei 12 Mal die Stationen. Im April erlebte ich noch eine kleine Steigerung des bisher Erlebten. Wieder war ich nur mit einer ausgebildeten Kraft allein auf einer OP-Station. Frisch Operierte lagen bereits in ihren Betten auf dem Flur, waren schmerzgeplagt und deswegen verärgert, hilflos und überfordert ̶ wie wir auch. Wir mussten, da die Patienten schon auf dem Flur lagen, was weder aus medizinischen, hygienischen noch brandschutztechnischen Gründen überhaupt sein darf, ein weiteres Bett in unseren oft eh verwaisten Pausenraum schieben, um einen Patienten dort für eine Operation vorbereiten zu können. Wen interessierte es? Niemanden! … Der eigens an der Wand angebrachte Briefkasten mit der Aufschrift „Ihre Meinung ist uns wichtig“ quillt über mit alten und nicht abgeholten Zetteln. Es ist eine Schande, wo wir in Deutschland hingelangt sind! Noch nie waren die medizintechnischen Geräte so weit entwickelt wie heute, die Medikamente so viel und so teuer, die Operationsmöglichkeiten so vielseitig und die Werbe-Flyer dafür so zahlreich und bunt! Doch im Widerspruch dazu stehen die eben geschilderten Klinikszenarien, die Menschen- und Pflegepersonal- verachtender nicht sein könnten! Eher setzt man auf Neubauten mit Hightech-Ausrüstung und integrierter künstlicher Intelligenz, doch die menschliche Intelligenz scheint abhandengekommen zu sein! … Im eigentlichen Interesse des Wirtschaftsunternehmens „Krankenhaus“ scheinen Zahlen zu stehen und keine Menschen. Die sind nur Mittel zum Zweck! Nicht mehr der Mensch steht im Mittelpunkt, wie es überall „scheinheilig“ propagiert wird, sondern dessen Finanzkraft. Hat er diese vorzuweisen, warten Extra-Zimmer mit WLAN- Anschluss, Kühlschrank und geräumigem Sanitärraum auf ihn. Hat er das aber nicht, wie es bei den meisten Patienten der Fall ist, wird er im Bedarfsfall in ein Drei- oder Vierbettzimmer dazugeschoben und darf sich vor einer Waschecke anstellen. Personal wird wegrationalisiert, ignoriert, ausgetauscht oder es meldet sich wegen Überforderung krank. Die Berufsgruppe „Pflege“ wird allein gelassen. Auch die Einführung einer Pflegekammer ist nur ein Witz und dient lediglich der Durchsetzung staatlich-behördlicher Richtlinien. Denn im Gegensatz zur Ärztekammer hat sie keinerlei Mitspracherecht bei Tarifverhandlungen. … Den hier von mir geschilderten Pflegenotstand in deutschen Krankenhäusern möchte ich persönlich abschließend wie folgt bewerten: Jede Gesellschaft wird in ihrer Fortschrittlichkeit und ihrem Niveau daran gemessen, wie es den Schwächsten unter ihnen geht. Das heute erreichte Niveau ist das unterste, das ich in vier Jahrzehnten erlebt habe! Und das beschämenderweise in dem Jahr, wo doch unsere Regierenden so stolz sind auf „70 Jahre Grundgesetz“! Von wegen: „Die Menschenwürde ist unantastbar“. Das ist eine vergoldete Worthülse! Die Realität, wie es den Schwachen - inklusive Finanzschwachen - in deutschen Krankenhäusern ergeht, haben Sie soeben meinen traurigen Schilderungen entnehmen können. Weder sind die Arbeitsbedingungen für das Personal noch die Umstände für die Patienten „menschenwürdig“. Solange das Patientenwohl zur Fallpauschale und die medizinische Versorgung zum Wirtschaftsunternehmen gemacht wird und Politiker mit Lobbyisten an einem Tisch sitzen, muss es niemanden verwundern, dass die Menschenwürde nur noch als Buchstabengerüst übrigbleibt. ... Bleiben Sie gesund!“
von a.f